Archiv der Kategorie: Baumgeschichten

Wendehals – Wohnung verzweifelt gesucht

Wenn man bei uns im Dorf vom Wendehals spricht, gilt es, Missverständnisse zu vermeiden. Ich rede nicht von den Landsleuten, die nach 1989 in der damaligen DDR allzu eilfertig der Staatspartei den Rücken zukehrten, nachdem sie ihr zuvor über Jahrzehnte treu zu Diensten waren. Ich meine den so selten gewordenen drosselgroßen Vogel, jynx torquilla, aus der Großfamilie der Spechte. Letztes Jahr noch wurde er hier in der Feldflur von einem Jäger gesehen und gehört. Auf diesen Zeugen ist Verlass. Heute, im späten Schneewinter 2013, macht es keinen Sinn, nach ihm Ausschau zu halten. Der Wendehals ist ein Zugvogel. Den Winter verbringt er südlich der Sahara. Dann kann man sich sogar am Kongo-Strom nach ihm auf die Suche machen. Wendehals – Wohnung verzweifelt gesucht weiterlesen

Bäume vertragen was

Leute, regt euch nicht auf! Bäume vertragen was. Das bisschen Kettensägenmassage steckt eine erwachsene Linde locker weg. Äste ab, ratzeputz? Der nackte Stamm, wie bei der da drüben am Friedhofseingang? Na und? Da kannst du fast daneben stehen bleiben und warten, wie sie ihre ersten Nottriebe schiebt. Im übernächsten Sommer sieht das schon richtig grün aus. Die tellergroßen Schnittstellen werden dann auch längst nachgedunkelt sein und viel weniger auffallen. Das Laubfegen im Herbst geht dann ratz-fatz über die Bühne. Und bei den Faulstellen, die es vielleicht mal geben könnte, soll mal einer beweisen, dass das was mit unserer etwas gründlicheren Schnibbelei zu tun hat.
Ich erlaube mir, auszusprechen, was ehrbare Mitbürgerinnen und Mitbürger, geleitet durch ihre Interessen wahrscheinlich denken. Und ich muss zugeben: meine Mitbürger haben recht. Schwerverletzte haben mitunter ein langes Leben. Bäume vertragen was weiterlesen

Notbremsung in Hohenwarsleben – Gemeinde, Landkreis, Baumschutz-Bürgerinitiative – und 151 Pappeln

Rotmilane mögen Pappeln. Landwirte mögen sie weniger. Genauer gesagt die Hybridpappeln, die in unserer baumarmen Börde zu so etwas wie Charakterbäumen geworden sind. Die Behörden der DDR haben dazu wesentlich beigetragen. Sie ordneten die Anpflanzung der schnellwüchsigen ursprünglich landesfremden Holzproduzenten an.
Rotmilane mögen Pappeln, weil sie sich als Horstbäume anbieten. Wer Näheres wissen möchte, frage nach beim NABU, dem sachkundigen Naturschutzverband. Landwirte runzeln die Stirn, weil Hybridpappeln an Feldrändern mitunter zu Astbruch neigen. Ihr starkes Wurzelwerk kann auch einmal bis in einen Acker hinein wachsen. Moderne Landmaschinen sind teure Investitionen. Notbremsung in Hohenwarsleben – Gemeinde, Landkreis, Baumschutz-Bürgerinitiative – und 151 Pappeln weiterlesen

Der Baum der Kindheit

 

Auf einer „Lindenstraße“ mal so eben acht von zehn mindestens hundertjährigen Linden mit Steiger und Kettensäge durch Laienhand ihrer Schönheit und vor allem ihrer Vitalität zu berauben – vermutlich, weil Mitbürger mit genug Vitamin „B“ in der Hinterhand sich mit lokalen Entscheidungsträgern kurzgeschlossen haben. Da kommt schon heftiger Bürgerunwille auf, und das nicht nur bei mir. Der Baum der Kindheit weiterlesen

Jungmeise in Hohe Börde twittert: Nistplatz dringend gesucht!

 

 

Hartriegel Meise

Nein, wo genau in der Hohen Börde ich im Frühjahr das Licht der Welt erblickt habe, werde ich nicht ausplaudern. Schließlich ist die Konkurrenz um die besten Nistplätze unter dem Meisenvolk hart. Wir Acht hatten jedenfalls großes Glück. Ein alter Obstgarten war im Spiel. Vater und Mutter konnten sich einen Nistkasten sichern. Im Geäst der Bäume und Büsche gab es einen guten Insektenjahrgang: Eier, Raupen, Mücken, Blattläuse, dazu kleinen Spinnen usw., alles wofür unsereinem der Schnabel gewachsen ist. Von diesen „garantiert unschädlichen“ Pflanzengiften haben unsere Menschen die Finger gelassen. Unsere Mägen haben es ihnen gedankt. Und mit der Katze ließ sich leben. Jungmeise in Hohe Börde twittert: Nistplatz dringend gesucht! weiterlesen

Nach dem Unwetter ist vor dem Unwetter: Wir fordern die baumfreie Stadt

 

Also jetzt reicht´s! Dieses Massaker an unseren Autos muss Konsequenzen haben! Ganz abgesehen von den sechs Mitbürgern, die das Pfingstunwetter 2014 mit ihrem Leben bezahlt haben. Zehntausende entwurzelter Bäume in den Städten an Rhein und Ruhr. Dort, wo sie eigentlich gar nicht hingehören. Auf unseren Straßen Bilder wie im Kongo-Urwald. Ja, ich sag´s, wie´s ist, auch wenn gefühlsduselige Baumfreunde das nicht gern hören.

Bäume und ein störungsfreies Autobesitzerleben, das geht einfach nicht zusammen. Es wird höchste Zeit, dass wir gleiches Recht für alle fordern. So wie Bauern und Jäger den Wolf und den Bären ausmerzen durften, so fordern wir das Recht auf eine baumlose Umwelt für unsere Autos. Und das nicht nur, wenn Krieg herrscht in der Natur, wie bei diesem Unwetter, sondern immer. Stellen Sie sich doch mal vor, Sie selbst hätten eine so empfindliche Haut wie meine Lolita, mein geliebter Flitzer. Auf ihren Lack rieseln Jahr für Jahr spätestens ab Ende August die Lindenblätter der Straßenbäume. Keine Beauty-Queen hält das auf die Dauer aus. Und auf der Arbeit kenne ich mindestens zwei Kollegen, die haben nach kräftigem Wind schon peitschenförmige Äste von Birken auf ihren Autos gefunden. Andere Gangsterbäume haben mit Kastanien und Eicheln auf Autos geschossen. Nein jetzt ist Schluss! Am Stammtisch haben wir unser Manifest für die „Baumfreie Welt für Auto und Mensch“ formuliert und begossen. Wir suchen nur noch eine Partei, die daraus praktische Politik macht.

Wir fordern zum Wohl von Auto und Mensch: Mindestabstand von hundert Metern zwischen parkenden Autos und Bäumen. Den Parkplatz bestimmen die Autos bzw. ihre Fahrer. Die Bäume haben sich danach zu richten. Alle Bäume, die dieser Bestimmung zuwider handeln, werden gefällt.

Mit Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde können einzelne Baumstümpfe, nicht höher als 100 Zentimeter, stehen gelassen werden, als Pinkelhilfe für Rüden, sofern die Hundesteuer bezahlt ist – und für Männer nach 22 Uhr, sofern sie die Getränke-Quittung eines Gastronomiebetriebes mit sich führen. Vögel und andere Baumbewohner haben sich rechtzeitig vor den im Amtsblatt angekündigten Fällungen bei der Naturschutzbehörde zu melden. Die veranlasst das Weitere.

Den Notlügen einzelner Bäume, sie würden keinerlei Laub mehr abwerfen, ist kein Glaube zu schenken, es sei denn, ein vereidigter Sachverständiger bestätigt, dass der des Laubabwurfs verdächtige Baum sich drei Jahre lang daran gehalten hat.

Für den Fall sentimentaler Irritationen in der Bevölkerung nach der Entfernung der Bäume empfehlen wir die Aufstellung von Baummodellen aus recycelbarem Kunststoff im Maßstab 1:1. An traditionellen Treffpunkten, z.B. ehemaligen sog. Dorflinden, empfehlen wir Sondermodelle, die auch olfaktorische Eindrücke – z.B. Duft der Lindenblüte – und akustische Erlebnisse, z.B. Blätterrauschen, vermitteln. Deutscher Erfindergeist wird mit der Sicherstellung dieser Funktionen nicht überfordert sein. Die Autoindustrie ist vermutlich auf Spenden für das Projekt ansprechbar.

Sollte sich durch die flächendeckende Herstellung der Autofreiheit tatsächlich vereinzelt Sauerstoffmangel einstellen, fordern wir die rechtzeitige Aufstellung von ansprechenden „Oxygen-Bars“ auf den Bürgersteigen. Ihre Kapazität muss mindestens der Sauerstoffproduktion der entfernten Bäume entsprechen. Der Betrieb dieser Zapfsäulen mit je zehn Mundstücken, davon zwei für Kinder, kann aus der PKW-Maut finanziert werden.

Der Aufenthalt lebender Bäume auf Privatgrundstücken bleibt erlaubt, sofern der Sicherheitsabstand von einhundert Metern zum nächsten parkenden Auto außerhalb des Grundstücks gewahrt bleibt. Der Einlass Fremder zum Besuch lebendiger Bäume auf einem Privatgrundstück gegen Eintritt ist als Gewerbe melde- und steuerpflichtig. Kindern unter zwölf Jahren ist der Besuch solcher Örtlichkeiten im Blick auf ihre Erziehung zu guten Autobesitzern verboten.

Ich weiß, es wird noch etwas dauern, bis wir im Blick auf die Bäume geschafft haben, was Bauern und Jäger bei Wolf und Bär gelungen ist. Aber nachdem wir Autofahrer zum Klimawandel ja schon nach Kräften beigetragen haben, wird das nächste Unwetter hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten lassen. Das bringt uns garantiert die Stimmung, die wir brauchen.

(Harald Rohr – Juni 2014)

Blick aus dem Küchenfenster

 

Alte Dörfer haben alte Bäume. Alte Bäume sind Landmarken für Auge und Seele. So gesehen habe ich es gut getroffen. Aus dem Wohnzimmerfenster fällt der Blick auf unsere Linde. Unter ihrer ausladenden Krone treffen sich auch heute noch kleine und große Menschengruppen und feiern alles von der Geburtstagsparty bis zur Hochzeit. Vor dem Schlafzimmerfenster grüßt eine prachtvolle Birke. Hinten raus ragen uns die Zweige eines Walnussbaumes im besten Alter fast ins Zimmer. Und vor dem kleinen Küchenfenster reckt sich in einiger Entfernung eine Eiche, die schon deutlich mehr als ein Jahrhundert gesehen haben muss.

Die ersten drei Bäume sind der Obhut unseres Vermieters anvertraut. Ich denke mal, auf sein Verantwortungsbewusstsein und seine Liebe zur Schöpfung ist Verlass. Auch wenn die Pflege älterer Bäume ihren Preis hat. Die Eiche steht auf Grund und Boden eines vielleicht 200 Meter entfernten Nachbarn. Der darf, was auch unser Vermieter dürfte: die Kettensäge ansetzen und den Baum fällen. Denn unsere Gemeinde gehört zu den verschlafenen in Deutschland, die auch heute noch keine Baumschutzsatzung haben. Das Interesse der Gemeinschaft an wertvollen Bäume endet also an den privaten Grundstücksgrenzen.

Und wie das Leben so spielt, kann der private Baumbesitzer wirklich in Versuchung geraten. Nehmen wir nur diese Eiche. Unseren Bauern war noch bis ins 20. Jahrhundert hinein eine reiche Eichelernte hoch willkommen. In dieser Gegend waren sie zwar Ackerbauern und nicht Viehzüchter. Aber gerade deshalb waren ertragreiche Eichen direkt beim Haus eine gute Hilfe bei der Mast von ein, zwei Schweinen für die Hausschlachtung. Aber die Zeiten haben sich gründlich geändert. Entlang unserer Dorfstraße mit ihrem Kopfsteinpflaster findet sich kein einziger Vollerwerbsbauer mehr. Die jungen Leute müssen ihr Glück woanders suchen. Und die Eltern werden alt. Nicht jede Bäuerin kann noch mit Ende Siebzig mal so eben erst die Eicheln und dann auch noch das Laub einer stattlichen Eiche auf die Seite schaffen.

Also schwirrt jetzt das Gerücht, unsere Nachbarn wollten den Baum fällen, als Notbehelf. Sie dürfen das – wie überall in Deutschland, wo Bürger nicht durch eine Baumschutzsatzung daran gehindert werden. Was tun? Den Nachbarn vielleicht eine ehrenamtliche Baumpflege-Patenschaft zur Laub- und Eichel-Entsorgung anbieten? Aber welcher selbstbewusste Landmann kann das mit seinem Stolz vereinbaren? Oder die Medien zu Hilfe rufen? Kommen würden die vermutlich. Aber Mitbürgern, die keinen öffentlichen Streit gewöhnt sind, solche Schwierigkeiten bereiten? Tut man das? Oder abwarten, ob die Eiche wirklich fällt, und dann in der Kommunalpolitik Alarm schlagen?
Wenn sie fällt, reißt das nicht nur eine schmerzende Lücke in meinen Rundum-Blick auf kraftvolle Bäume. Jede Biologin kann uns erklären, was für eine arten- und individuenreiche Lebensgemeinschaft mit der Vernichtung einer einzigen erwachsenen Eiche heimatlos wird. Es ist wie mit der Erde als Ganzer: zerstöre ich den Lebensraum, dann bringe ich all die mit um, die ohne ihn nicht weiter leben können.
Der Baum des Lebens und sein Bruder, der Baum der Erkenntnis, sind die ersten biblischen Zeichen, die uns unsere Geborgenheit in der Schöpfung und unsere Verantwortung für sie ans Herz legen. Für mich ein Grund mehr, täglich einmal aus dem Küchenfenster zu blicken.

(Harald Rohr – Januar 2012)